Mittwoch, 21. Dezember 2011

Folge 6: Der Krampf mit dem fehlenden Spiegel

Kleider machen Leute, so sagt ein deutsches Sprichwort. Doch Kleidung ist ja heute in erster Linie eine Ausdrucksform für das Lebensgefühl der Menschen, aber auch eine nach außen gestellte Gesinnung oder Überzeugung. Nehmen wir die Gruppe der „Emos“. Diese oft sehr dunkel gekleideten und geschminkten Leute, bei denen man die Depression, den Suizid und die Trauer und das Leid der gesamten Menschheit am Outfit erkennt, wollen uns auf die Schlechtigkeit der Welt hinweisen. Und der Punk: Grüne, blaue und rote Haare (oder alles gleichzeitig) und möglichst alte und kaputte Klamotten. Hauptsache nicht die Norm erfüllen und weg mit der Normalität heißt das Credo. Die Gangster(-Rapper) kommen mit tief herunterhängendem Beinkleid daher. Dazu noch die Cappies, die nur noch auf den Kopf gelegt statt aufgesetzt werden. Der allgemeine Betrachter ist doch hier immer gewillt, die Hose von hinten hochzuziehen und gleichzeitig die Kappe runterzudrücken, damit einerseits den Gang, andererseits den Sitz der Kopfbedeckung zu verbessern. Aber es ist eine Botschaft, die mit der Kleidung übermittelt wird: Ich bin cool und, Achtung Jugendwort, endsgeil. Eine besondere Spezies des Kleiderfetischisten gibt es vermutlich nur bei uns Deutschen, ist zu 99,8% männlich und will uns sagen: „Es ist egal wie ich aussehe, ich habe Urlaub!“. Der dickbäuchige Urlauber mit weißen Tennissocken in Sandalen. Möglichst noch mit Sonnenhut und Aufsteck-Sonnenbrillen-Apparatur zum Hochklappen. Dieses Gewand kann alternativ auch ohne Socken getragen werden. Hierbei ist wichtig, dass ein gewisser Grünspan den großen Zehennagel befallen hat und zeitgleich die gelbliche Hornhaut am Hax‘n, den farblichen Gegenpol darstellt. Nicht nett anzuschauen, aber eine Botschaft. Junge Frauen mit endlos langen Beinen in superkurzen Miniröcken oder Bikinis; junge Herren mit nacktem Oberkörper die Muskeln zur Schau stellend: Am See knistert es an Erotik, herrlich. Und die Aussage ist klar: Ich habe mich den ganzen Winter im Fitnessstudio und mit Diäten gequält, jetzt will ich auch zeigen, was ich habe! All diese Personen kennen wir, an all diese Personen haben wir uns gewöhnt und teilweise erfreut, aber seit einigen Jahren scheint es eine neue Form der Ausdruckweise in der Kleiderfrage zu geben. Doch kann mir jemand verraten, was für eine Aussage Leggings und enganliegende bauchfreie Tops haben, wenn sie von den zu 99,9% weiblichen Trägerinnen durch die Fußgängerzonen geschoben und gerollt werden? Welche gesellschaftskritische Anprangerung wird freigesetzt durch zur Schaustellen von Bauchwellen und „Love-Handles“? Ist das vielleicht der Schrei: „Hilfe, mein Spiegel ist kaputt!“ fragt sich kopfschüttelnd Holger Bültermann
Bild: Fionn Große/pixelio.de

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